Nachdem sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits im Jahr 2019 mit Urlaubsansprüchen auseinandergesetzt und eine Hinweis- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers geschaffen hat, setzt es seine Rechtsprechung zu neuen Regeln für den Urlaubsanspruch mit dem am 20. Dezember 2022 ergangenen Urteil fort.
Grundsatz: Verjährung von Ansprüchen
Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern unterliegen ebenso wie andere zivilrechtliche Ansprüche der gesetzlichen Verjährung. Im Grundsatz beginnt die Verjährung von Ansprüchen mit dem Schluss des Jahres, in dem der jeweilige Anspruch entstanden ist, und beträgt dann regelmäßig drei Jahre. Die Verjährungsfrist beim Urlaub beginnt also zum jeweiligen Jahresende.
Ausnahme: Hemmung der Verjährung
Das BAG hat jetzt jedoch eine besondere Hemmung der Verjährung für den gesetzlichen Urlaub beschlossen: Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt erst dann zu laufen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Der Fall
Geklagt hatte eine Steuerfachangestellte, die nach mehr als zehn Jahren Beschäftigung bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber Abgeltung für nicht genommenen Urlaub verlangte. Anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Arbeitgeber eine Abgeltung für 14 Urlaubstage. Der Forderung nach der Abgeltung von weiteren 101 Urlaubstagen aus den Vorjahren kam er nicht nach.
Im sich anschließenden Prozess berief sich der Arbeitgeber auf die Verjährung der Urlaubsansprüche, womit er in der ersten Instanz Erfolg hatte. In der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf jedoch nicht mehr: Das Landesarbeitsgericht sprach der Klägerin eine Abgeltung von 76 weiteren Arbeitstagen zu, da der Verjährungseinwand der Beklagten für nicht durchgreifend erachtet wurde.
Entscheidung des BAG
Dies bestätigte das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 20. Dezember 2022 (9 AZR 266/20), nachdem es zuvor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Vorabentscheidung zur Auslegung des zugrundeliegenden Unionsrechts in diesem Fall ersuchte. Der EuGH entschied, dass der Zweck von Verjährungsvorschriften, dem Eintritt von Rechtssicherheit besteht, hinter dem Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmern aus Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurücktreten muss.
Zur Begründung seines Urteils führte das BAG aus, dass die Gewährleistung von Rechtssicherheit nicht als Vorwand des Arbeitgebers dienen dürfe, sich auf sein eigenes Versäumen zu berufen, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich zu nutzen. Tatsächlich könne der Arbeitgeber die Rechtssicherheit selbst gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole und so die Hemmung der Verjährung aufhebe.
Im Fall der Steuerfachangestellten führte das BAG aus, dass sie nicht durch ihren Arbeitgeber in die Lage versetzt wurde, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen, da dieser seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt habe. Die Urlaubsansprüche sind daher nicht verfallen.
Fazit
Das Urteil kann tatsächlich dazu führen, dass Arbeitnehmer für viele Jahre oder teilweise sogar Jahrzehnte Urlaubsabgeltung verlangen könnten, sofern sie vom Arbeitgeber nicht entsprechend der neueren Rechtsprechung des BAG auf den Resturlaub hingewiesen und über den Verfall aufgeklärt wurden. In der Praxis jedoch dürften die Auswirkungen zumindest auf laufende Arbeitsverhältnisse eher überschaubar bleiben. Denn ein umfassendes Abgeltungsverlangen dürfte häufig dazu führen, dass sich die Aussicht auf eine weitere, langjährige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trüben könnte.